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Erinnerungstafel für Walter Raphael enthüllt

Gedenken zum 82. Jahrestag der Deportation von Jüdinnen und Juden
in der Ohestraße am 15.12.2023

Als Yoed Sorek seinen eindrücklichen Gesang anstimmt, wurde es sehr still vor dem Mahnmal auf dem Schulhof der Berufsbildenden Schule. Rund 60 Teilnehmende waren der Einladung der AG Geschichte der Ohestraße gefolgt, um der Deportation jüdischer Menschen aus der Ohestraße zu gedenken.

 

Für die Arbeitsgruppe des benachbarten Wohnprojekts WohnIdee e.V. begrüßte Regina Hennig die Anwesenden und erinnerte an das jüdische Gemeindezentrum in der Ohestraße, in dem seit Ende des 19. Jahrhunderts Kultur, Bildung und soziale Fürsorge im Vordergrund standen. „Hier wurden Lehrer ausgebildet, Kinder im Kindergarten betreut, Bedürftige mit einer warmen Mahlzeit versorgt“. Bis die Nazis dem ein Ende bereiteten. Die Täter von damals seien nicht nur Gauleitung, Gestapo und SS, sondern städtische Ämter und Beamte seien auf vielfältige Weise bei der Entrechtung, Isolation, Enteignung und schließlich Deportation jüdischer Menschen unserer Stadt beteiligt gewesen.

Der beeindruckende Gesang des Kantors der Liberalen Jüdischen Gemeinde gab der Veranstaltung einen ganz besonderen, berührenden Charakter. Yoed Sorek nahm auch die Gelegenheit wahr, auf die bedrängende Situation seiner Gemeinde durch den Nahost-Konflikt und antisemitisch motivierter Angriffe in Deutschland hinzuweisen. „Nie wieder ist vorbei“ – so sein Appell, sich für jüdisches Leben heute einzusetzen.

Dr. Daniel Gardemin überbrachte im Auftrage des Oberbürgermeisters Belit Onay die Grüße der Landeshauptstadt und betonte die Bedeutung von Erinnerungsarbeit. Aus dem Wissen der damaligen Ereignisse gelte es Lehren für das demokratische Miteinander zu ziehen.

Dazu gehöre auch, dass Jüdinnen und Juden angstfrei in unserer Stadt leben könnten. Alles andere sei eine Gefahr für die Demokratie.

Der 15.12.1941 ist ein Tag der Schande in der Hannoverschen Stadtgeschichte!“ Deutlich ordnete der ehemalige Oberbürgermeister Dr. Herbert Schmalstieg in seiner Ansprache dieses Datum ein. An diesem Tag wurden vom Sammellager Ahlem aus 1001 Jüdinnen und Juden nach Riga deportiert, darunter auch etliche aus dem sogenannten Judenhaus in der Ohestraße. „Es war ein Weg ohne Rückkehr“, stellte er fest. Herbert Schmalstieg erinnerte sich auch an seine Begegnung mit Walter Raphael, der ihm in den 1980er Jahren von seinen Pflegeeltern berichtete, die aus der Ohestraße auf diesen Sammeltransport geschickt und ebenfalls in Riga ermordet worden waren.

Walter Raphael, der 1940 nach New York emigrieren konnte, habe nachdrücklich angeregt, in der Ohestraße eine Erinnerungsstätte zu errichten. Denn mit dem Abriss der Gebäude des ehemaligen jüdischen Gemeindezentrums Anfang der 1970er Jahre waren die letzten Spuren jüdischen Lebens an dieser Stelle vernichtet. Er dankte der AG Geschichte der Ohestraße für die Initiative, mit einer Tafel an Walter Raphael als Initiator des Mahnmals zu erinnern.

Mit Bezug zum Motto der Veranstaltung „Mit Erinnerung in die Zukunft“ ging er auch auf den Krieg im Nahen Osten ein und forderte die Freilassung der israelischen Geiseln und die Einstellung aller Kampfhandlungen.

Den Text der Erinnerungstafel für Walter Raphael stellte Monika Markgraf für die Arbeitsgruppe vor und dankte der Historikerin Dr. Marlis Buchholz für die fachkundige inhaltliche und dem Bezirksrat Mitte für die finanzielle Unterstützung. Sie verlas auch den Auszug eines Schreibens der Witwe Gigi Raphael aus New York, in dem sie ihre Freude über die Ehrung ihres Mannes ausdrückt.

Welche Bedeutung hat das Mahnmal heute noch? Mit dieser Frage haben sich Schüler*innen der BBS 3 auseinandergesetzt. Die Lehrerin Petra Riedewald und der Schülervertreter Jan-Niklas Vorwohlt von der BBS 3 stellten einige Aussagen davon vor. Insgesamt ein vehementes Plädoyer, das Mahnmal mit Leben zu füllen, um gegen Rassismus, für Toleranz und Verständigung zu wirken. Die Aussagen sind auf der Website der AG Geschichte dokumentiert. Gewürdigt wurde, dass Ruth Gröne als Zeitzeugin in diesem Jahr zu Gast in der Schule war und vor 80 Schüler*innen über ihre Geschichte berichtete. Schulleiter Harald Meier bekräftigte, dass bei einem Neubau des Schulgebäudes das Mahnmal in würdiger Form erhalten bliebe.

Die AG Geschichte der Ohestraße werde sich im kommenden Jahr für eine Informationstafel im Eingangsbereich der Ohestraße einsetzen, die auf die Geschichte des jüdischen Lebens und das Mahnmal in dieser Straße öffentlichkeitswirksamer hinzuweist, so die Ankündigung von Dirk Addicks. Er dankte der erkrankten Ruth Gröne ausdrücklich für ihre stetige Unterstützung in der Erinnerungsarbeit, für Informationen, Material und vor allem Inspiration. Denn auch die Anregung, hier eine Erinnerungstafel für Walter Raphael anzubringen, war eine Idee von ihr.

Am Ende legten die Teilnehmenden Blumen am Mahnmal nieder und stellten Kerzen auf im stillen Gedenken der Opfer.

Im Gemeinschaftsraum von WohnIdee e. V. fand abschließend ein lebhafter Austausch bei warmen Getränken und stärkender Suppe statt.

 

AG Geschichte der Ohestraße

http://ohe-hoefe.de/geschichte-der-ohestrasse

Dirk Addicks + Regina Hennig | 18.12.2023

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